Ersetzbarkeit: Die Stärke des Vertretens und die Befreiung des Schlafes

Es gibt eine Stärke (nicht nur eine Umsicht und strategische Klugheit des Distanzierteren), die daher kommt, dass ich die Sache eines anderen vertrete. Subjektivismus kultiviert zugleich die Erleichterung, sich im eigenen Handeln nicht direkt selbst der Welt auszusetzen, sondern im Schutz der Indirektheit einer Beziehung zu jemand anderem tätig zu werden.

Die moderne Institution appropriiert diese Neigung zum Indirekten. Sie bietet von Grundauf verunsicherten Subjekten die Stärke eines Stellvertreterischen als reguläre Disposition. Die gängige Hollywood-Fiktion einer Anwältin, die zur zivilen Aktivistin wird, da sie die Angelegenheit von Gesellschaftsschwachen, vom System Übervorteilten vertritt, verkitscht die Erinnerung daran, was für ein ziviles, ‚zwischenmenschliches‘ Motiv in jeder institutionellen Kompetenz steckt.

Zu betonen an stellvertretender Repräsentation wäre für eine Theorie des Zusammenlebens weniger das Identifikatorische (die Formalisierung der Person, die Übertragbarkeit ihres ‚Falles‘, die Interessenübereinstimmung oder empathische Affektivität von Solidarisierung) als vielmehr die Entlastung von einem subjektiv Eigenen und dessen Ersetzung durch ein vermitteltes Eigenes. Soll der Preis von Freiheit nicht in extremer Schwächung bestehen, braucht es Beziehungen zu Dritten, die Subjektivität in der Welt einzurichten helfen.

San Keller berührte diesen Aspekt in einer Aktion aus dem Jahr 2000, bei der er anbot, für Kund*innen an deren Arbeitsplatz zu schlafen.

Im Kontext der work hard, play hard economy, die Schlafzeit zwischen ‚freiwilligen‘ Überstunden im Job und immer weiter ins Nachher wandernden After Hour-Clubs verschluckte, ließ sich das leicht als kritisch-ironischer Kommentar zum Kapitalismus lesen. In der Nähe von Alberei und Ernst erörterte es die Grenzen von Dienstleistung mit ihrem stellvertreterischen Moment des Lasten-Abnehmens.

Dabei formulierte der Schlaf-Service auch eine Phantasie der Erlösung, deren Ursprung mit dem des Subjekts zusammengehört: ein Selbst-Bewusstsein, das sich in Träumen verlieren darf, während (und weil) ein anderer Körper ersatzweise die Pflicht zur Regeneration übernimmt – eine Befreiung des Schlafes, ganz im Sinne der abendländischen Metaphysik, die das Subjekt hervorbringt, um sich an ihm abzuarbeiten.

Erst wenn jemand anderes für mich das körperlich Notwendige des Schlafens übernimmt, erhält das Poetische des Traumes, das jede romantische Utopie des Onirischen beflügelt, die Gelegenheit zu einem feien Produzieren. Erst dann wäre das, was als Erwachen sowohl den Übergriff des Traumes auf die Tageswirklichkeit als auch die Grenze seiner Wirksamkeit in einer Bio-Sozio-Ökonomie des Lebens mit regelmäßigen Regenerationsphasen bezeichnet, von den Fesseln einer kurzen Zeitspanne, die sich mit Glück ein paar Mal, aber nicht beliebig wiederholen lässt, gelöst.


[1] https://recherche.sik-isea.ch/de/sik:work-14418838/in/sikart/work/tiles

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