Warum AI eher Romane schreibt als Verwaltungsarbeit abnimmt

Auf FB – längst ein Netzwerk der Gestrigen – blieb mein Blick im alten Jahr an einem Repost hängen. Der Verfasser (Selbstbezeichnung „Author. Haver of correct opinions“) schreibt:

„1960’s Futurists: Automation will free mankind from meaningsless tedium to focus on creative pursuits only human beings can master.

2020’s Techbros: We’re building AI to write all your books, music, and TV so you can focus on the meaningsless tedium of your cubicle job.“

So schal der Typ von Witz schmeckt, der hier gemacht wird, stimmt die Diagnose nicht?

Leute aus meinem Umfeld führen derzeit Experimente mit Chat GPT durch. Bini Adamczak bspw. diskutiert mit dem Programm über Kommunismus, fordert es auf, einen Dialog über Kant im Format der Netflix-Serie Superstore zu schreiben. Es scheint klar, dass wir demnächst Hausarbeiten bekommen werden, die teilweise oder ganz von AI verfasst sind (und ich frage mich, ob die AI schon jetzt oder demnächst imstande ist, überzeugende Kommentare zu den Hausarbeiten zu schreiben, so dass ich nur noch nach kurzem Überfliegen der ersten und letzten beiden Seiten eine Note festzulegen brauche).

Bei alldem wäre doch Verwunderung angebracht darüber, dass die Rhetorik des Kreativen nicht nur früher in den Fokus des AI-Engineering gerät als die der Verwaltung, sondern möglicherweise auch leichter zu knacken sein wird.

Eine naheliegende Antwort auf die Frage, warum es sich so verhält, lautet: Weil im liberal-bürgerlichen Weltbild, das die Praxis der AI-Entwicklung einbettet, das Kreative die Domäne der fröhlichen Verantwortungslosigkeit ist, während man auf Verwaltungstätigkeit die Autorität des Ernstes projiziert. Der Staat hält seine souveräne Macht in der Überzeugung, sich eine fröhliche Verwaltung nicht leisten zu können, und die von ihm direkt oder indirekt befugten Institutionen exekutieren diese Unterstellung.

Wenn etwa das wissenschaftliche Personal an den Unis vor lauter Verwaltungsaufgaben nicht dazu kommt, der Forschung nachzugehen und sorgfältige, um neue Erkenntnisse oder größere Präzision bemühte Texte zu schreiben, geht das auf die Fiktion zurück, die Verwaltungstätigkeiten seien zu wichtig, um sie weniger kompetenten Mitarbeiter*innen oder gar einer Software zu überlassen. Eingefaltet in dieses Wichtige sind die Interessenkämpfe, nachdem die Verwaltung – wie der gesamte Bereich des postfordistisch organisierten Ökonomischen – durchweg ‚politisiert‘ wurde und die Strukturen es kaum mehr zulassen, automatisierbare Routinetätigkeiten zu definieren, die einfach bloß erledigt werden müssen und nicht in die beständigen Verschiebungen des Machtgefüges an Instituten und Fakultäten verwickelt sind.

Soll AI Verwaltung übernehmen, bräuchte es zunächst ein Einvernehmen, welche Teile davon aus dem Kampf um Anerkennung und Einfluss herausgenommen werden sollen. Das zu erzielen, erscheint derzeit illusorisch, denn der Kampf beruht auf Angst, auf einem konstitutiven Mangel an Vertrauen in die anderen und in die eigene Leistung (der wahre Luxus wäre freundliche Gleichgültigkeit, und jede*r weiß, dass die das Ende der Karriere bedeutet).

Die Künste und der ‚kreative‘ Anteil der wissenschaftlichen Diskurse bieten sich der rhetorischen Übernahme durch schnell lernende AI wehrlos dar, weil keine vergleichbare Angst sie schützt. Der alte Glaube aus metaphysisch geprägten Jahrtausenden, es gebe einen nicht-rhetorisierbaren Kern menschlichen Geistes, der sich den Maschinenperformanzen zuverlässig entziehen werde, verstärkt die Schieflage zusätzlich.

In den Präferenzen des AI-Einsatzes ist eine Körper/Geist-Trennung beharrlich am Werk: Man imaginiert Verwaltung als die Regierung der Körper, die der schlechten Fremdbestimmung keinen verlässlichen Widerstand entgegenzusetzen vermögen, weshalb im Namen der Freiheit schlecht koordinierte Selbstbestimmungen sich aneinander aufzureiben haben (die populären liberalen Angstvisionen fokussieren das Maschinelle im Dienst einer autokratischen Regierung, aber wovor unser System aus Souveränität und Liberalismus viel mehr Angst hat, sind Verwaltungsmaschinen, die innerhalb eines liberalen Gemeinwesens so effektiv funktionieren, dass die, die Macht wollen, keinen Vorwand mehr finden, um Verwaltungstätigkeit an sich zu ziehen bzw. unter ihrer Kontrolle zu delegieren).

Kreativität hingegen treibt an der Oberfläche der Gewissheit, sie lasse sich wegen ihrer geistigen Natur nicht regieren. Dabei sagen die Muster des Netflix-Contents oder die argumentativen Patterns „geisteswissenschaftlicher“ Aufsätze dieselbe Wahrheit wie die Reaktion des Ingenieurs, der überzeugt war, Googles Chatbot LaMDA sei „sentient“, nachdem das Programm in einem Dialog eine Reihe von grammatisch korrekten und situativ stimmigen liberalen Plattitüden über sich selbst und das Verhältnis zum Menschen ausgespuckt hatte: Ein Großteil dessen, was unser menschliches Kommunizieren ausmacht, beruht auf der Rekombination eines sehr begrenzten Zeichenvorrats nach sehr absehbaren Strukturen.

Kommunikation ist dabei nicht gleich Bewusstsein, und es findet zwischen beidem auch keine direkte Übersetzung statt, wie die Luhmann’sche Soziologie zurecht betonte. Die Differenz des menschlichen Gehirns zu einem Computer kann daher die menschliche Sozialsphäre nicht davor bewahren, dass Computer-Output sie ununterscheidbar durchsetzt.

So setzen die gegenwärtigen AI-Anwendungen auch keineswegs beim Denken an, sondern beim Schreiben, Malen, Komponieren usw. Chat GPT unterlaufen teils schwerwiegende sachliche Fehler, was auf mangelhafte Kognition verweisen würde, wenn es sich denn um eine Kognitions-Software handelte. Aber die soziale Stärke der gegenwärtigen Generation von Programmen besteht darin, dass sie ohne den Versuch funktionieren, Kognitionsprozesse in menschlichen Gehirnen zu imitieren. Ihre Infrastruktur ist das Internet, kein Gehirn.

Das Internet füllen kommunikative Effekte menschlicher Kognition – aber eben lediglich Effekte, die zu den Kognitionsprozessen in einem indirekten, nicht ableitbaren Verhältnis stehen (Luhmann sprach von „Interferenzen“ zwischen Bewusstsein und Kommunikation, um dieses Indirekte zu bezeichnen).

Von den Interaktionen mit und vermittels AI vor allem zu lernen ist momentan die Externalität der Kommunikation gegenüber dem Bewusstsein. Wissen tun wir um die in der Theorie schon viele Jahrzehnte, aber bislang konnte man sie praktisch ignorieren, ohne dass es groß auffiel. Das geht allmählich immer schlechter.

Dieser Beitrag wurde unter demokratien, diesseitsdesästhetischen, kunstundarbeit, technologie_politik abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..