Der Popsong, der mein Begehren auf eine intensive Weise fesselt durch eine Nähe von Begeisterung und Ekel: Es gibt immer etwas, das stört. Etwas, das das, was ich subjektiv gerade perfekt fände (gerade jetzt so – das kann von Moment zu Moment, Stimmung zu Stimmung, Kontext zu Kontext variieren), ruiniert. Das Leben mit dem Song besteht aus einer Serie des Sichversprechens und Ruiniertwerdens eines perfekten Erlebnisses, und dieses Unliebsame, das jedes Lied trotz allem als Produkt von anderen markiert, zeichnet Pop ebenso aus wie das Einschmiegen in Subjektivität. (Steht, glaube ich, auch irgendwo so ähnlich in Diederichsens Über Pop-Musik.)
Was ich aber zu keiner Zeit erfahre, ist jene von Adorno beschworene Objektivität des Werkes, die sich dem subjektiven Gefallen entgegenstellt und die eine Perspektive der Versöhnung eröffnet, weil sie dem Künstler mit ebensolcher Härte zugesetzt hat wie mir, dem Rezipierenden. Der Komponist musste Dissonanzen setzen, weil die Welt des 20. Jahrhunderts die Harmonien der vergangenen Jahrhunderte nicht mehr duldet. Das Material, die Umstände verlangten es. Deshalb bringt es uns allesamt auf die Straße der Menschheit, wenn auch ich mich diesem Müssen beuge, die Dissonanzen aushalte und in der Reflexion meines Aushaltens die Gründe des Widerstrebens, die Gründe für den notwendigen Widerstand gegen das Widerstreben, die politische und existenzielle Wahrheit der harten Fügung erkenne.
Für die Musik, die Adornos Ästhetik entsprach, war es wahrscheinlich immer schon problematisch, wenn jemand die schrägen Klänge gar nicht erlitt und das Leiden erst kraft intellektueller Anstrengung mit einem Genießen vermittelte, sondern sie rundheraus genoss. So wie ich als Jugendlicher: Ich bin während meiner Teenagerjahre oft in Konzerte mit sog. Neuer Musik gegangen, weil ich die Sounds irgendwie mochte. So wie das wohlbehütete, im idyllischen Lübeck aufwachsende Einzelkind seine Melancholie zelebrierte und sich mit dem Sperrigen und Verqueren, Hässlichen, Dreckigen und Perversen sehr wohl fühlte, brauchte auch diese Musik keine Vermittlung, kein schwieriges Verhandeln zwischen Welt und mir, um lustvoll gehört zu werden (den Begriff „Weltmusik“ fand ich ganz unabhängig von dem, was er bezeichnete, schon als Wort doof). Entsprechend schnitt mein Genießen sie von ihren teilweise explizit kritischen Autorenbestimmungen ab. Pendereckis Threnos, das er den Opfern von Hiroshima widmete, war z.B. einfach geiler Sound unter anderen. Ich hörte durchaus banausisch, aber nicht banausisch-ablehnend, sondern banausisch-affirmativ.
Im Pop dagegen fand ich Spannung zwischen dem, was mich ergriff, und dem, was mich abstieß. Unter der Musik, die ich als Jugendlicher gehört habe, ist eine Menge cooles, nach den Prinzipien damaliger wie heutiger Coolness makelloses Zeug, aber meine Lieblingssongs waren solche, in denen ein falsches Detail etwas Großartiges ruinierte. Sie zu hören setzte bei jedem Durchgang eine nahezu panische Aktivität der Verbesserung in meinem ‚Kopf‘ (Körper) in Gang: Ich radierte Streicher weg, die im letzten Teil des Songs unter den kreischenden Gitarren auftauchten und widerwärtig durchschaubar darauf abzielten, die emotionale Dringlichkeit noch einmal zu steigern. Ich entfernte eine Wiederholung der Anfangssequenz am Schluss, die eine wunderbar verrutschte, synkopierte Struktur in etwas Stocksymmetrisches verwandelte. Ich formulierte Textzeilen um, die zu banal waren oder eine Chance auf Subtilität ungenutzt ließen, oder bestand auf dem zuerst falsch Gehörten.
Was tun mit dieser Lust an der Verbesserung? Müsste man nicht viel mehr damit tun?